Masken des Widerstands, Rezension von Martin Birkner im Tagebuch No. 7/8, 2022.
Mehr als Subcomandante Marcos’ MaskeDieses Buch ist eine großartige Zumutung: Es mutet dem Leser, der Leserin zu, ausgetretene Pfade zu verlassen und den Autor auf einer langen und verschlungenen Tour durch den lakandonischen Urwald zu begleiten. Es geht um den Auf- und Widerstand der Zapatistinnen, der am 1. Jänner 1994 – am Tag des Inkrafttretens des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA – begann. Tom Waibel lädt uns auf eine »Lektürereise durch Zeit und Raum« ein, die doch weit mehr ist:
Es geht um die Konstruktion, Erfindung, Maskierung des beziehungsweise der Anderen in ihrem Verhältnis zum vermeintlich Eigenen; es geht um die Geschichte des revolutionären Kinos – von der Russischen Revolution bis zu »Kinoki Lumal«, das vom Autor gemeinsam mit anderen erfundene und betriebene Wanderkino in den aufständischen zapatistischen Gebieten. Aber es geht auch um philosophische Erkundungen von Raum und vor allem Zeit; um die Geschichte linker Aufstände und Guerillabewegun- gen in Mesoamerika; um postkoloniale politische Ökonomie und die damit verbundenen Herrschaftsverhältnisse; um Geschlechterverhältnisse – und immer wieder auch um die Erfahrungen des Autors, als »Gringo« inmitten eines Aufstands der Tzeltal, Tzotzil, Chol, Man, Tojolabal und vielen anderen mehr.
Und schließlich geht es um Spiritualität. Die oder der gelernte metropolitane Linke wendet sich bei diesem Begriff gerne ab, mit Bildern vor Augen von Aluhutträgerinnen, die sich vor Chemtrails fürchten, von Pseudobuddhisten, die versuchen, Corona wegzumeditieren. Und dennoch ist ohne die Auseinandersetzung mit den spezifischen spirituellen Formen der von Waibel analysierten Communitys weder der zapatistische Aufstand noch die Beständigkeit ihrer »gehorchen- den« Selbstregierung zureichend zu verstehen. Dabei wird mitnichten einer vermeintlich ursprünglichen indigenen naturreligiösen Form das Wort geredet. Vielmehr begegnen wir den häufig gewaltvollen Vermischungen und Beeinflussungen durch Kolonialis- mus und dessen Fortwirkungen, aber auch der Befreiungstheologie und, last, not least, maoistischen Intellektuellen, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung der zapatistischen Organisierung spielten.
An dieser Stelle wäre – was aus Platzgründen nicht möglich ist – eigentlich auf den Begriff der Maske zu sprechen zu kommen. Dieser ist natürlich nicht zufällig im Titel gelandet, wird vielmehr aus philosophischer, ethnografischer, politischer und aktivistischer Perspektive ausgeleuchtet. Diese und noch weitere Dimensionen des Waibel’schen Texts machen Masken des Widerstands auch zu einem Buch der Wissenschaftskritik. Seine Methodik, so der Autor, sei jene der radikalen Subjektivität. Er pfeift mit großer Eleganz auf akademische Gepflogenheiten und disziplinäre Vorsichtsmaßnahmen – auch deshalb sei dieses Buch wärmstens empfohlen: weil es darum weiß, dass radikale Subjektivität nur im Horizont ständiger kritischer (Selbst-)Reflexion der Verständigung über das Nichtselbstverständliche dienen kann. Dass das Buch außerdem großes Lesevergnügen bereitet, beweist, dass Zumutungen unwiderstehlich sein können.